
In Zeiten von Coronavirus und Social Distancing sind bei der Rekrutierung neue Wege gefragt. Patrick Fehr, zuständig für Recruiting & Employer Branding der Competec-Gruppe, zu der beispielsweise auch BRACK.CH gehört, führt die Anstellungsgespräche im Moment per Video- und Online-Interviews. JobIQ hat sich mit ihm über seine Erfahrungen ausgetauscht.
Patrick Fehr, was sind Ihre Erkenntnisse aus den Bewerbungsgesprächen über Video?
Die Erfahrungen sind ganz unterschiedlich, denn der Verlauf eines Online-Interviews hängt stark von den Beteiligten ab, den Linienvorgesetzten, dem Team, dem Bewerber. Ein tolles Beispiel erlebten wir mit einem Bewerber für eine Marketingstelle. Marketingverantwortliche sind sich eher gewohnt, kreative Wege zu gehen, Ungewohntes zu tun. Überdies sind sie meist eher jünger. Der Vorgesetzte und der Bewerber haben sich sofort gefunden, die Teammitglieder wurden ebenfalls ins Gespräch integriert, und der Bewerber hat über Videochat einen guten Case präsentiert. Diese Person haben wir ausschliesslich über Online-Interviews angestellt.
Verlaufen die Online-Interviews also gleich wie die bislang noch üblichen Anstellungsgespräche?
Es gibt durchaus Unterschiede. Ein Video-Interview braucht viel Konzentration, und zwischenmenschliche Belange wie z.B. Teamfähigkeit sind viel schwieriger zu prüfen. Deshalb kippt das Gespräch schneller ins Fachliche, weil zwischenmenschliche Aspekte schwieriger zu vermitteln sind. In einem Gespräch am selben Tisch versuche ich stets, einen Austausch auf gleicher Augenhöhe und unter Berücksichtigung des Zwischenmenschlichen zu machen. Wir reduzieren auch die Vorstellung des Unternehmens (wird in einem weiteren Schritt nachgeholt) und gehen schneller auf die konkrete Stelle ein. Dafür machen wir eher drei Gesprächsrunden statt nur zwei. Eine tolle Erkenntnis ist, dass es möglich ist, jemanden nur aufgrund von Online-Interviews anstellen zu können.
Können Sie Ihre offenen Stellen vergleichbar gut besetzen wie zuvor?
Das ist abhängig von der Position und unabhängig von Online-Interviews. Wir werden im Moment überrannt von Menschen, die durch das Coronavirus ohne Arbeit sind, weil Unternehmen schliessen mussten. Fachkräfte und Spezialisten melden sich zur Zeit eher weniger. Diese haben nun andere Sorgen, als eine neue Stelle zu suchen.
Wo sehen Sie zusätzliche Vorteile von Online-Interviews?
Man merkt sehr schnell, welche Personen bereits Erfahrungen mit Video-Besprechungen haben und welche Personen fürs Gespräch gut vorbereitet sind. Letztere können ein gutes Bild von sich abgeben. Und sie können auch Notizen vor sich haben, die wir nicht sehen, die sie im
Gespräch unterstützen. Weil ein Online-Interview viel Konzentration erfordert, ist es wichtig, im Gespräch etwas auf den Punkt zu bringen. Es gilt zudem nachzufragen, wenn man etwas nicht verstanden hat, wie in einem herkömmlichen Gespräch auch.
Welche Rolle spielt die Technik im Gespräch?
Ich habe mir als Moderator angewöhnt, gleich zu Beginn den Ablauf zu erklären, wie wir bei technischen Störungen vorgehen. Auch wenn wir in der Schweiz gute Leitungen haben, kommt es trotzdem hin und wieder zu Ton- oder Bildausfällen. Ich empfehle allen Bewerbern, vor einem Online-Interview die Technik mit einem Freund oder Familienmitglied zu testen und testhalber ein Interview aufzuzeichnen. Damit sieht man, wie man wirkt. Ich habe dies mit meiner Tochter getan, die mit kritischem Feedback nicht zurückgehalten hat.
Was empfehlen Sie den Bewerbenden sonst noch?
Ich stelle fest, dass das Homeoffice zu Schlabberlook verführt. Dennoch ist das Online-Interview ein Anstellungsgespräche, in dem man den besten Eindruck hinterlassen und sich auch entsprechend kleiden sollte. Zum Erscheinungsbild gehört auch der Hintergrund des Bewerbenden, der unter Umständen stark ablenkt. Da sieht man die verschiedensten Dinge. Störend ist, wenn die Bewerber meinen, sie könnten nebenher noch auf Google nachforschen, wenn sie eine Antwort nicht wissen. Das funktioniert nicht. Volle Konzentration aufs Gespräch ist gefragt.
Was ist der Nachteil der Online-Interviews?
Das ist vor allem der zwischenmenschliche Aspekt. Es gibt Linienvorgesetzte, die wissen wollen, wie die Haltung, der Gang eines Bewerbers ist, die seinen Händedruck fühlen wollen. Es gibt den Ausdruck, dass man jemanden gut riechen mag. Dieses «Riechen» ist nur über ein persönliches Treffen möglich. Wir haben in den vergangenen Tagen auch persönliche Treffen in einem grossen Raum unter Einhaltung der angeordneten Mindestabstände gehabt. Allerdings fehlt dabei etwas der Charme.
Werden Sie auch in Zukunft Bewerber über Online-Interviews anstellen?
Online-Interviews ersetzen den persönlichen Kontakt nicht. Ich möchte in Zukunft nicht nur über Video-Gespräche die Bewerber anstellen. Aber ich werde Online-Interviews wohl auch öfter für Erstkontakte mit Bewerbern nutzen, bei denen das «Matching» auf die beworbene Stelle vielleicht nicht offensichtlich ist. Per Video können wir schneller und effizienter entscheiden, ob jemand eine Runde weiterkommt, als mit einer Einladung. Und es ist sogar noch umweltfreundlicher, weil sich die Bewerberin oder der Bewerber die Anreise spart. Gleichzeitig können wir so mehr Personen kennenlernen und Personen in den Bewerbungsprozess aufnehmen, die ohne Online-Interview nicht eingeladen worden wären.