Liza, wie ist Dein Rückblick?
Die vergangenen zwei Jahre habe ich persönlich in Wellenbewegungen wahrgenommen. Zu Beginn der Corona-Pandemie herrschte eine grosse Unsicherheit. Wir fragten uns, worauf wir achten müssen, wenn wir virtuelle Interviews führen. Nachdem sich alles etwas eingependelt hatte, war ich begeistert davon, dass wir vieles schneller erledigen konnten, stets virtueller arbeiteten und die Recruiter sowie die Bewerbenden mit den Kommunikationssystemen viel besser umgehen konnten.
Je länger die Situation jedoch andauerte, desto stärker fielen die Defizite im kulturellen Bereich ins Gewicht. Es war online teilweise schwieriger, die Mitarbeitenden einzubinden, obwohl wir virtuelle Anlässe wie eine gemeinsame Kaffeepause oder sogar ein Pizzaessen veranstalteten.
Ist Teamarbeit wertvoller als früher?
Die Mitarbeitenden sind im Sommer gerne wieder ins Büro gekommen. Das Bedürfnis nach einer Mischung von Home Office und der Arbeit im Team wurde von allen wahrgenommen, denn manches funktioniert virtuell eben doch nicht. Ausserdem macht die Arbeit im Home Office auf die Dauer einsam. Vielen wurde bewusst, dass weder das eine noch das andere Extrem – Arbeit bloss im Büro oder Arbeit bloss zuhause –funktioniert. Es wurde auch deutlich, dass Führungsarbeit und die Teambildung wieder mehr Gewicht erhalten mussten.
Wie ist die Situation jetzt?
Die Kernaufgabe meines Teams ist es, Interviews zu führen. Wir sind zu dritt im Büro und ziehen deshalb Masken an. Da kann man sich schon fragen, ob es nicht zielführender ist, im Home Office zu arbeiten und mit seinem Gegenüber ohne Maske kommunizieren zu können.
In der vergangenen Zeit haben wir teilweise Personen eingestellt, die wir zuvor nur virtuell sahen. Dann fehlt der Aspekt der zwischenmenschlichen Chemie, der oft nur bei physischen Treffen wahrnehmbar ist. Manchmal stellten wir auch Personen ein, die wir nur mit Maske sahen. Der Mensch ist aber immer noch so konditioniert, dass er sein Gegenüber als Ganzes wahrnehmen will. Es sind oft die kleinen Bewegungen in der Mimik oder auch die Gesten, die man sehen möchte, um eine Person einschätzen zu können.
Wie war 2020 anders als 2021?
Im 2020 mussten die Mitarbeitenden einiger Branchen sehr offen und bereit zu einer Neuorientierung sein. Ich denke dabei besonders an die Gastronomie oder den Tourismus. Aus diesen Bereichen verzeichneten wir damals eine zunehmende Zahl an Bewerbungen. Darauf folgte im Rückblick eine abwartende Phase, in der nur diejenigen Personen, welche in Notsituationen waren, die Stelle wechselten.
In diesem Jahr hingegen waren die Personen, die sich Stellen aussuchen konnten, sehr selektiv und warteten ab. Es hängt stark von der Position eines Arbeitnehmenden ab, ob er wechselfreudig ist. Und im Moment tritt eine Generation in das Arbeitsleben ein, die insgesamt sehr selektiv ist.
Was lernen Recruiter aus der letzten Zeit?
Mein persönliches Learning im Rückblick auf das vergangene Jahr ist, dass es sich auszahlt, mutig zu sein. Anfangs dieses Jahres hatten wir viele Pläne, die wir aufgrund der Pandemie fallen lassen mussten. Wir entschieden uns dann, Neues auszuprobieren und das Budget für Dinge auszugeben, zu denen uns sonst vielleicht der Mut gefehlt hätte und die letztendlich positiv ausfielen. So haben wir zum Beispiel Elternabende und Informationsanlässe für künftige Auszubildende, virtuell abgehalten und viel mehr Personen angesprochen, als uns dies zuvor an einem physischen Anlass gelang.
Für Informationen oder Updates sind virtuelle Veranstaltungen viel schneller. Für kreative Methoden eignen sich solche Formate hingegen weniger, wie wir im Rückblick gesehen haben. Diesen Aspekten wird man in Zukunft viel mehr Rechnung tragen müssen.
Was erwartet uns 2022?
Ich sehe uns im Moment in einer Phase des abgeklärten Pragmatismus. Die Unsicherheit ist weg, die neuen Arbeitstechniken kennen wir nun. Für das Jahr 2022 erwarte ich somit, dass der Fokus stärker auf die digitale Unternehmenskultur gelegt wird: Wie beziehen wir das Zwischenmenschliche in die tägliche Arbeit mit ein?
In der Versicherungsbranche ist Remote Work gut möglich. Damit wächst auch die Erwartungshaltung der Bewerbenden, die vermehrt im Home Office arbeiten wollen. Der Anspruch auf Flexibilität und hybrides Arbeiten wird wachsen – auch über die Landesgrenzen hinaus. Als Unternehmen müssen wir auf diese neuen Ansprüche nun Antworten haben und klare Rahmenbedingungen schaffen. Wer jetzt damit noch zuwartet, wird ins Hintertreffen geraten. Die Demografie verschärft den Arbeitskräftemangel. Um Talente für sich zu gewinnen, müssen die Firmen Authentizität erlangen und die richtigen Massnahmen ergreifen.
Welches sind die richtigen Massnahmen?
Es ist inzwischen klar, dass der Arbeitsmarkt nicht mehr wie ein Supermarkt-Selbstbedienungsladen funktioniert. Man kriegt die Arbeitskräfte heute eher in Form von Rohstoffen, in die man noch Zeit und Aufwand investieren muss. Wir stellen je länger, je häufiger Personen ein, die nicht alle gefragten Fähigkeiten mitbringen, die aber Entwicklungspotenzial haben und denen wir mit Coaching und Weiterbildung die fehlenden Dinge vermitteln.
Es geht darum, Menschen für das Unternehmen zu gewinnen, die sich auf eine Weiterentwicklung einlassen, die Spass daran haben, noch nicht zu wissen, wie die nächsten Karriereschritte aussehen. Fragt man die jetzt ins Arbeitsleben eintretende Generation, wohin die berufliche Reise führt, wissen sie es noch nicht. Sie sind neugierig und lassen sich auf Verschiedenes ein.
Macht dies Hoffnung?
Ja, es ist aber auch herausfordernder als früher. Und es wird immer Menschen geben, die sich gerne weiter entwickeln und andere, die mehr Sicherheit brauchen, in Veränderungen straucheln und mehr Unterstützung vonseiten des Unternehmens benötigen. Diese unterschiedlichen Ansprüche müssen wir ernst nehmen, denn nur so wird beiden Seiten letztendlich gedient.