Corona-Krise: Die Chancen packen

Ein Blick zurück auf die Corona-Krise im 2020 und auf die Chancen, die sich daraus ergeben können: Ein Gespräch mit Jörg Buckmann, Recruiting-Experte und Personalmarketing-Innovator.

«Ob all der negativen Schlagzeilen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise geht oft vergessen, dass nicht alle Unternehmen und Arbeitnehmenden darunter gelitten haben», gibt Jörg Buckmann zu bedenken. «Wessen Beruf vor dem Ausbruch der Pandemie gefragt war, der oder die hat meist auch heute einen Job.»

Nachdem sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt nach der ersten Welle der Corona-Krise rasch erholt hatte, sei im Moment eine grosse Unsicherheit zu spüren, meint Jörg Buckmann. In unsicheren Zeiten seien weniger Personen auf der Stellensuche, freiwillige Abgänge seien deshalb momentan weniger zu verzeichnen. «Man bleibt im sicheren Hafen, die Wechsel- und Risikobereitschaft ist kleiner».

Personaldienstleister spüren Krise stärker

In der Recruiting-Branche seien wohl die Personaldienstleister am stärksten von der Corona-Krise getroffen worden, ist Jörg Buckmann überzeugt, ohne die genauen Zahlen gerade zur Hand zu haben. «Aber wenn Firmen Kurzarbeit beantragen müssen, so stellen sie nicht gleichzeitig temporäre Arbeitnehmende ein». Doch auch aktuell gibt es viele Branchen und Firmen, die kräftig einstellen. «Unternehmen wie die Post, Städte und Kantone oder die Gesundheitsbranche hingegen hatten während des vergangenen Jahres nicht weniger Arbeit und brauchten entsprechend gleich viele Mitarbeitende wie sie ohne Corona auch benötigt hätten.»

Entschleunigung und Isolation

Ob die Entschleunigung der Wirtschaft den Menschen – Arbeitnehmenden wie Arbeitgebenden – die Gelegenheit verschafft, sich auf das Wesentliche im Beruf zu konzentrieren, ist nicht einfach zu beantworten. Zwar habe gerade Home Office dazu beigetragen, dass eher weniger Meetings und die Meetings mit weniger Teilnehmenden stattfinden. Auch die kurzen Auftragserteilungen auf dem Flur nach dem Motto ‘gut sehe ich Dich, wir sollten noch … erledigen’ finden nicht mehr in der Form statt. Doch Home Office schaffe eine andere Art von Stress: «Der Mensch ist ein soziales Wesen, viele Leute haben die Nase voll vom Home Office und von der Isolation. Sie vermissen ihre Mitarbeitenden und die Kaffeeküche», ist Jörg Buckmann überzeugt.

Die Ablenkung bleibt

«Es ist auch naiv zu glauben, die im Pausenraum des Unternehmens verbrachte Zeit würde nun zuhause produktiv genutzt. Die Ablenkungen sind genauso gross oder sogar noch grösser als im Büro», meint Jörg Buckmann realistisch. Die extreme Form von Arbeit nur im Home Office sei lehrreich für Unternehmen und die Arbeitnehmenden. «Es gibt sicherlich eine Gruppe von Menschen, die sehr gut mit der Arbeit im Home Office umgehen kann, aber sobald Kinder zuhause sind, wird es sehr schwierig».

Home Office geniesse momentan viel Goodwill. Die Gefahr, dass dabei das Familienleben gegenüber dem Arbeitsleben mehr Aufmerksamkeit erhalte, bestehe durchaus. Der Umgang damit sei individuell. Für die Zukunft wünscht Jörg Buckmann sich eine Balance zwischen der jetzigen Situation mit ausschliesslichem Home Office für viele Arbeitnehmende und der restriktiven Haltung vieler Firmen gegenüber Home Office, wie sie vor der Corona-Krise herrschte. «Es wird sich wahrscheinlich von selbst einpendeln: sobald die Leute wieder ins Büro dürfen, werden sie gerne gehen», schmunzelt er zuversichtlich.

Zweiklassengesellschaft vermeiden

Jörg Buckmann lenkt den Blick auf einen weiteren Aspekt: «Während die Medien stets von den Arbeitnehmenden im Home Office berichten, verrichten Heerscharen von Menschen Arbeit, die nicht im Home Office erledigt werden kann. Wir müssen darauf achten, keine Zweiklassengesellschaft zu schaffen», warnt er. Gerade Unternehmungen mit einem grossen Anteil an Arbeitnehmenden, die zur Arbeitsstelle fahren müssen, seien gut beraten, wenn sie nach der Corona-Krise auch die Mitarbeitenden am Schreibtisch wieder in den Unternehmensräumen arbeiten lasse. «Mitarbeitende erwarten vom Arbeitgeber eine Gleichbehandlung. Wenn die einen zum Unternehmen fahren müssen und die andern überhaupt nicht mehr, ist die Gleichbehandlung nicht gegeben», begründet Jörg Buchmann seine Meinung.

Positive Entwicklungen

Im Recruiting-Bereich habe die Corona-Krise einen gewaltigen Schub in der Digitalisierung ausgelöst. Während im Januar 2020 sich Unternehmen kaum vorstellen konnten, Gespräche über Video zu führen, ist dies inzwischen fast normal. «Das ist eine spannende Entwicklung. Viele Unternehmen haben recht positive Erfahrungen gemacht. Die Umstände haben sie gezwungen, die Digitalisierung anzupacken.» Zwar mache es Sinn, Kandidaten vor der Anstellung auch mal persönlich zu sehen, aber für Erstgespräche seien Video-Meeting absolut ausreichend.

Corona als Chance

Als erfreulich beurteilt Jörg Buckmann seine Beobachtung, dass manche Unternehmen in der Corona-Krise schnell und pragmatisch handelten. «Was früher endlose Entscheidungsschlaufen durchlief, wurde in kürzester Zeit entschieden. Manche Firmen sind zur Hochform aufgelaufen. Solche Situationen sind die Chance für Kreative, Querdenker und diejenigen Menschen, die gerne entscheiden», schwärmt er.

Er hoffe sehr, dass die Unternehmen dieses Verhalten auch dieses Jahr weiterhin pflegen. «Ich bin aber wenig zuversichtlich, dass die Veränderung nachhaltig sein wird», schiebt er gleich nach. Zu gross sei der Anteil an sogenannten Prozessfanatikern und «Null-Fehler-(An)Strebern», die Auflagen und Restriktionen schaffen und damit das Handeln verlangsamen. «Doch vielleicht bleibt in der einen oder andern Unternehmung etwas von dieser Entscheidungskraft erhalten.»