
Recruiting Talk #6: Personal-marketing wie weiter?
Matthias Mäder von Prospective Media/JobIQ unterhält sich mit Jörg Buckmann und Martin Maas darüber wie es mit dem Personalmarketing weitergeht.
Recruiting Talk-Thema: Personalmarketing wie weiter?
Datum: Mittwoch 10.06.20 um 11.30 – 12.00 Uhr
Gäste: Jörg Buckmann und Martin Maas
Zu den Gästen:
Matthias Mäder (Prospective Media Services/JobIQ): Martin, bei euch sind zurzeit über 80 Stellen ausgeschrieben – allerdings mit dem Hinweis, dass keine persönlichen Interviews oder Assessments stattfinden. Ist das Personalmarketing?
Martin Maas (Helvetia): Zum einen geht es um den Schutz unserer eigenen Mitarbeitenden, zum anderen um die Verantwortung gegenüber den Bewerbern. Man merkt, dass die Leute kein gutes Gefühl haben, wenn sie sich für einen neuen Job in die ÖV setzen müssen, um zum Vorstellungsgespräch zu fahren – selbst, wenn sie den Job unbedingt möchten. Deswegen war für uns recht schnell klar, dass wir die Gespräche – mit allen Konsequenzen für Fachbereich und Bewerber – virtuell machen. Dies ist kein explizites Personalmarketing, ich glaube aber, dass die Botschaft ankommt: «Wir kümmern uns um die eigenen Leute!»
Matthias: Welche Personalmarketingmassnahmen betreibt ihr im Moment?
Martin: Die meisten analogen Touch Points, die wir für die ersten beiden Quartale geplant hatten, sind durch Corona radikal weggebrochen – egal ob Karrieremessen, Inhouse-Veranstaltungen oder Schulbesuche. Das müssen wir kompensieren, also haben wir ein neues «Ökosystem» geschaffen. Das heisst, wir müssen die Inhalte, die wir bis jetzt analog übermittelt haben, zu den Leuten ins Wohnzimmer «auf die Couch» bringen. Wir haben Smart-TV, Spotify, Gaming-Konsolen, Tablets und Smartphone, die wir nutzen können und etwa Schnuppertage aufs Virtuelle überführt – mit erstaunlich guter Resonanz.
Da die Gamescom, wo wir uns mit einem Stand bei den Gamern positionieren wollten, abgesagt wurde, veranstalten wir nächste Woche ein Fifa-Online-Event – die Helvetia Couch Trophy –, um mit der Zielgruppe als Arbeitgeber in Kontakt zu kommen. Wir bespielen das «Ökosystem» Couch also recht gut und erfolgreich. Aber als Modell für die Zukunft überzeugt es mich noch nicht.
Matthias: Jörg, würdest du aktuell voll in Personalmarketing investieren oder eher zuwarten und etwas ganz anderes machen?
Jörg Buckmann (Buckmann gewinnt): Ja, ich würde investieren. Die Situation ist zwar schwer einschätzbar und schlägt sich sicherlich extrem nieder auf dem Arbeitsmarkt – zumindest kurzfristig. Es stellt sich aber die Frage, wie es mittel- und langfristig aussieht. Personalmarketing hat eine “aktionsmässige” Komponente, aber gutes und stringentes Personalmarketing ist langfristig. Jetzt ist die Zeit, wo es in vielen Unternehmen operativ etwas ruhiger ist, also kann man sich überlegen, was man hier in den nächsten sechs bis zwölf Monaten machen könnte. Gerade für Unternehmen, die finanziell nicht unter der Krise leiden, ist das die ideale Chance, um an gute Fachkräfte zu kommen.
Matthias: Die sog. «Generation Future» kämpft während Corona mit Ängsten, die auch einen Einfluss aufs Recruiting haben. Musst du mit neuen Ansätzen kommen oder wie geht es mit Personalmarketing weiter?
Jörg: Ich glaube, es gibt so eine Art Renaissance der alten Tugenden. Diese Ängste führen dazu, dass Themen wie Sicherheit und Geborgenheit unglaublich wichtig werden. Ich habe vor Kurzem mit 60 Mitarbeitenden eines Unternehmens darüber gesprochen, was sie an ihrem Unternehmen schätzen und herausgekommen ist, dass sie sich darüber gefreut haben, dass ihr Vorgesetzter bei ihnen Zuhause angerufen und sich nach dem Befinden erkundigt hat. Sie schätzen es also, wie der Arbeitgeber mit Umsicht und Vorsicht in dieser Krise umgeht, wie er versucht zu informieren und sich kümmert. Ich glaube, das ist ein Trend und auch wirklich wichtig im Personalmarketing. Auch das eingangs genannte Beispiel der Helvetia zeigt, wie das funktioniert, es ist ein Zeichen, wie die Firmen ticken und wie sie mit potenziellen neuen Mitarbeitenden umgehen. Der Fokus hat sich verschoben von den Fringe Benefits zu wirklich wichtigen Dingen. Das ist eine Chance, und ich sehe, dass viele Unternehmen bereits einen guten Job machen.
Matthias: Wie geht ihr bei Helvetia mit diesem Thema um?
Corona war ein einschneidendes Erlebnis. Trotzdem haben wir Themen und Kulturen, die sich dadurch nicht komplett ersetzen und wir müssen nicht alles durch neue Motive oder neue Botschaften ersetzen. Dennoch glaube auch ich, dass es der Umgang des Arbeitgebers mit der Krise ist, der bei den Mitarbeitenden und deren Familien hängen bleibt. Hier besteht jetzt die Chance, etwas zu tun. Man kann nun nicht einfach auf den Status vor Corona zurückkehren. Solch einschneidende Krisen prägen Generationen und entscheiden über deren Wertvorstellungen. Der Generation Future muss man nun beweisen, dass man was daraus gelernt hat. Das betrifft das Thema Arbeitszeiten, aber auch die Arbeitsautonomie, sprich Homeoffice.
Matthias: Auf der einen Seite haben wir Growth Hacks, die funktionieren, auf der anderen Seite geht’s Richtung Gaming – entwickelt sich Personalmarketing dank Corona wie das Recruiting noch mehr hin zur Digitalisierung oder ist das nur ein vorübergehender Trend, um das zu kompensieren, was wegfällt?
Martin: Das entscheidet am Ende die Zielgruppe. Wir werden es sehen, gerade beim Thema Events. Ist die Angst an Events zu gehen künftig grösser als der Nutzen oder kann ich auch online mit dem Unternehmen in Kontakt treten? Können Unternehmen beweisen, dass sie durch Corona virtuell und digital so fit geworden sind, dass sie Events auch digital mit demselben Mehrwert abhalten können? Wir gehen gezwungenermassen schnellere Schritte Richtung digital und mit mehr Budget, da wir dieses nicht für Events ausgeben können. Parallel laufen die digitalen Entwicklungen aber ohnehin weiter.
Matthias: Jörg, du hast auf HR Today geschrieben «Wie die KMUs die Grossen ärgern». Würdest du den Post unter Eindruck von Corona anders schreiben?
Jörg: Nein, weil das nichts mit Corona zu tun hat. Es gibt Chancen, die du als grosses Unternehmen hast, weil du mehr Mittel hast und es gibt Chancen, die die Kleinen haben, um die Grossen zu ärgern – das war vor Corona so und das wird auch nach Corona so sein.
Wir haben zwangsläufig alle gewisse Dinge gelernt und ich glaube, es gibt auch neue Formate fürs Personalmarketing. Es wird aber nach wie vor einen Mix zwischen online und offline geben – wenn auch vielleicht etwas mehr virtuell. Wir werden wohl relativ schnell aus dem Corona-Zustand rauskommen, wenn die Lage stabil bleibt und die Leute werden das als Episode hinter sich lassen. Es wird mehr Homeoffice und mehr virtuelle Veranstaltungen geben, aber sonst glaube ich, dass es das, was im Personalmarketing vor Corona offline funktioniert hat, wohl auch weiterhin geben wird.
Matthias: Eine Herausforderung im Personalmarketing ist der Personalabbau. Entweder werden dabei wirklich Leute abgebaut und die Einstellquote wird nach unten korrigiert oder es werden in einem Bereich Leute abgebaut, in einem anderen werden aber händeringend Leute gesucht. Wie geht ihr damit um?
Martin: Wenn es bei uns soweit kommen würde, wären die Reaktionen wohl nicht anders als vor Corona. Die grosse Kunst im Personalmarketing ist es, die Leute digital anzusprechen und spezifisch einzelne Botschaften an die Fachkräfte zu senden, die wir suchen. Das ist zum Beispiel durch Technologie und intelligente Ausspielung von Werbeanzeigen oder durch programmatische Ausspielung möglich. Damit verärgert man niemanden und muss sich auch nicht rechtfertigen. Aber natürlich ist das immer ein schmaler Grat, da sind Emotionen dabei, da geht’s um Menschen, da muss man vorsichtig sein.
Jörg: Auch von meiner Seite gibt’s keine Corona-spezifische Empfehlung. Verschiebungen des Bedarfs innerhalb der Unternehmungen hat’s immer gegeben und dies war auch schon immer eine Knacknuss, v.a. auch kommunikativer Art. Ein Stellenabbau wird medial gerne aufgenommen, ein gleichzeitiger Stellenaufbau interessiert niemanden. Es gibt leider kein Patentrezept. Es lohnt sich aber immer, fair zu bleiben und transparent zu kommunizieren.
Matthias: Thema Homeoffice – ein Erfolgsfaktor für Homeoffice ist Vertrauen. Sind Firmen im Vorteil, die bereits vor Corona gegenseitiges Vertrauen aufbauen konnten?
Martin: Vertrauen zu spüren ist für die Mitarbeitenden immer schön. Natürlich nützt es dir als Unternehmen, wenn du schon vorher Erfahrung mit Homeoffice sammeln und die grundlegendsten Themen klären konntest, zum Beispiel was die Arbeitszeiterfassung oder das Führen von virtuellen Meetings angeht. Das auf Druck aufbauen zu müssen, während du noch tausend andere Themen parallel zu Corona auf dem Tisch hast, ist sicher schwieriger.
Matthias: Was sind die drei nächsten grossen Trends im Personalmarketing?
Martin:
- Stärkerer Fokus auf Individualisierung. Dies betrifft nicht nur, wie wir im Personalmarketing Werbung ausspielen, sondern auch wie die Mitarbeitenden individuell arbeiten können, Stichwort Homeoffice und Arbeitszeiten.
- Auch im Bereich der Technologie gehen wir stark Richtung Personalisierung. Botschaften müssen viel zielgerichteter übermittelt werden.
- Audio-Content wird ein wichtiges Thema. Da ist sehr viel Potenzial vorhanden.
Jörg:
- Ebenfalls Audio-Content.
- Internes Personalmarketing und interne Kommunikation werden grosse Themen sein.
- Softe Werte, zum Beispiel, wie man mit Menschen umgeht werden wichtiger als Benefits. Die Werte muss man aber mit Taten beweisen können.
Jörg Buckmann
Nach über 20 Jahren in verschiedenen HR-Funktionen hängte ich 2015 meinen Job als Personalchef an den berühmten Nagel. Seither widme ich mich dem Thema, für welches ich über die Jahre viel Leidenschaft entwickelt habe: Ich unterstütze Firmen und Behörden, die sich auf dem Arbeitsmarkt mehr Gehör verschaffen wollen. Ich tue dies auf meine Weise: Lustvoll, engagiert und immer mit einer guten Portion Humor.
Ich nehme nicht immer alles bierernst – mich selbst eingeschlossen. Ich bin fasziniert von einfach guten Lösungen und schwärme von Unternehmungen, die eine Portion Frechmut mitbringen, also die Gabe und den Willen, neue Wege zu gehen, etwas auszuprobieren und einfach mal zu tun.
Martin Maas
Martin Maas ist seit 2017 fachlich verantwortlich für Employer Branding bei Helvetia Versicherungen Schweiz. Zuvor war er knapp sieben Jahre im globalen Employer Branding und in der Konzernstrategie bei der Daimler AG in Stuttgart tätig. Seit mehreren Jahren ist er als Speaker, Autor, Workshopleiter und Berater für Employer Branding und Recruiting tätig und konnte mit kreativen Ideen bereits einige Awards gewinnen.
Moderator: Matthias Mäder
Seit über 20 Jahren im Recruiting Business aktiv.Mehrere Jahre für Adecco als Branch Manager tätig, anschliessend bei Tamedia AG verantwortlich für Jobwinner.ch, ALPHA.ch und die Printstellenmärkt ALPHA und Stellen-Anzeiger. Die letzten 13 Jahren leitete er die Prospective Media Serives AG welche sich als Agentur und Software Anbieter auf Recruiting Solutions spezialisiert hat (Multiposting, Personalmarketing, E-Recruiting, Analytics). Gast Dozent an der ZHAW, Mitbegründer des HR Bar Camp Zürich sowie Gründer der Recruiting Convention Zürich. Aktuell befasse ich mich intensiv mit den Themen Programmatic Job Advertising, Analytics in der Rekrutierung sowie dem neuen Berufsbild des Recruiters.